Alexandras Abschied

Eine Kurzgeschichte von Sabrina Georgia
Passend zu ihrer Romanreihe „Manchmal muss es eben Blut sein“.
Überall im Handel erhältlich.
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Kapitel 1

»Was ist denn da los?« Alexandra hatte die Sirenen gehört und warf einen neugierigen Blick aus dem Fenster.
Nikolai seufzte. Wahrscheinlich hatte es wieder einen armen Tropf erwischt, der an der Straßenecke gestanden hatte. Es war schon erstaunlich, wie einfach man Menschen loswerden konnte, wenn man ihn vor einen Wagen stieß. Es war unauffälliger, als eine Kugel.
»Ich muss jetzt los. Wird wieder spät werden.« Er stand auf und zog Alexa noch einmal an sich. Ein letztes Mal, bevor er ging. Ein letztes Mal, bevor er sich endgültig aus ihrem Leben verabschiedete.
»Was hast du? Du bist heute wirklich seltsam«, hauchte sie leise, doch er küsste sie sanft und brachte sie damit zum Schweigen. Es war schon schwer genug, auch ohne, dass sie ihn unter die Lupe nahm.
»Ich muss jetzt wirklich los«, raunte er, machte sich von ihr los und ging auf die Tür zu. »Mach es gut.«
Die letzten Worte flüsterte er, denn Alexandra hätte sicherlich gleich wieder eine Frage dazu gestellt. Er durfte sich jedoch nicht verspäten. Sein Retter mochte es nicht, wenn man zu spät kam. Nikolai bezahlte zwar für Sergejs Künste, doch hatte der Mann
»Da bist du ja endlich. Hast du das Geld dabei?«seinen eigenen, unberechenbaren Kopf und könnte es sich noch anders überlegen.
Ja, das hatte er. Er hatte seine und Alexas Ersparnisse in einem Plastikbeutel dabei. Er hoffte inständig, dass sie ihn dafür nicht hassen würde. Nikolai wusste, dass es feige war, doch was sollte er machen? Sich gegen die russische Mafia stellen? Das wäre sein Todesurteil. Dann lieber spurlos verschwinden…

Kapitel 2

Alexandra fand Nikolais Verhalten sehr seltsam, doch sie schob es auf die stressigen Nachtschichten, die er in den letzten Monaten geschoben hatte. Er war nun einmal ein junger Arzt und musste die Schichten übernehmen, die ihm zugeteilt wurden. Sie konnte sich ihre Arbeitszeiten ja auch nicht aussuchen. Was man alles tat, um sich etwas mehr leisten zu können.
Alexa griff nach der Kaffeedose, um sie, wie üblich, mit dem abendlichen Trinkgeld zu füttern und starrte hinein. Ihr Herz blieb einen kurzen Augenblick stehen. Sie war leer. Ihre Ersparnisse waren weg.
»Was zum…«, keuchte sie. Ihr Blick wanderte zur Tür. Was hatte Nikolai getan?
Sie sprintete los in Richtung Schlafzimmer und zog sich schnell an. Ihr Boss würde heute auf sie warten müssen. Erst musste sie diese Sache mit Nikolai klären. Wütend lief sie Richtung Krankenhaus.
»Was machen Sie denn hier? Ich dachte, Sie und Nikolai sind für ein paar Tage nicht in der Stadt.« Ein Kollege von Nikolai lief nun neben ihr her und Alexandra sah ihn verwirrt an. Was sollte denn das bedeuten?
»Mir gegenüber hat er nichts von einer Reise erwähnt.« Der Mann wirkte peinlich berührt. Er dachte wohl, dass Nikolai sie überraschen wollte und er diese nun zerstört hätte. Alexa hatte jedoch einen anderen Gedanken. »Hat Nikolai erwähnt, wohin er mit mir will? Jetzt, da die Katze aus dem Sack ist, könnten Sie mir das ja verraten.«
»Er sagte, er wolle mit Ihnen nach St. Petersburg. Wie ich hörte, haben Sie sich dort kennengelernt.« Er lächelte.
Alexandra bedankte sich freundlich bei ihm und wandte sich dann um. Sie musste Nikolai erreichen. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Wohin war er nur gegangen?
Sie hörte die Sirenen zwar, doch sie achtete nicht mehr auf sie. Es war, als wäre sie betäubt. Nikolai hatte sie belogen und hatte das Geld genommen, das sie für eine Wohnung gespart hatten. Er war damit wahrscheinlich schon über alle Berge.
»Entschuldigen Sie«, hörte Alexa die Stimme hinter sich und drehte sich zu dem Mann um, der sie angesprochen hatte. Sie kannte ihn nicht, doch wusste sofort, dass mit diesem Burschen nicht zu spaßen war. Er war groß und bullig, voller Narben und schien keinen Hals zu haben. Er versuchte, sie mit einem Lächeln zu täuschen, doch der Schläger war ihm anzusehen.
»Ja, was wollen Sie?« Sie wandte sich ein wenig von ihm ab, um Losspurten zu können, falls nötig, doch er schien an ihr nicht sonderlich interessiert zu sein.
»Sie sind die Freundin von Nikolai Sorokin? Können Sie mir sagen, wo er steckt?«
Wenn sie das nur wüsste. Dieser Mistkerl würde etwas erleben können, wenn sie das herausbekam. Sie sagte es diesem Mann und er nickte nur bedächtig. Er kannte Nikolai anscheinend besser, als sie und schien nicht überrascht zu sein.
»Falls Sie doch von ihm hören sollten, sagen Sie ihm, dass wir ihn finden werden. Schulden müssen immer beglichen werden.«
Schulden müssen immer beglichen werden. Was war das denn für eine Aussage? In was für einen Schlamassel befand sich Nikolai nur? Wie groß der Schlamassel war, erfuhr Alexandra, als sie zurück in die Wohnung kam. Es war eingebrochen und komplett auf den Kopf gestellt worden. Wie war das nur möglich?
Den Tränen nahe stand sie mitten im Chaos und betrachtete die Scherben ihres Lieblingsspiegels. Es hatte so lange gedauert, bis sie ihn gefunden hatte. Ein Geräusch hinter ihr ließ sie erneut zusammenzucken. Ein Mann, in einer russischen Uniform, kam herein und sah sie verärgert an.
»Es wurde ein Einbruch gemeldet«, sagte er und sie zuckte mit den Schultern und deutete einfach nur um sich. Er war definitiv zu spät gekommen.
Alexandra beschloss gerade, sich ebenfalls einfach aus dem Staub zu machen, als das Funkgerät des Polizisten einen Mord nahe des Krankenhauses verkündete.
»Ich bin in der Nähe«, gab der Mann durch und wollte wissen, ob er sich darum kümmern sollte. Leider hatte er Pech. Die Kollegen hatten sich dem interessanteren Fall bereits angenommen. Er sollte nur in die Wohnung des Opfers gehen und dort aufpassen, bis die Kollegen eintrafen. »Gibt es schon einen Namen zu dem Opfer?«
»Nikolai Sorokin.«
Alexandra gefror das Blut in den Adern zu Eis. Das konnte nicht wahr sein.
»Was ist passiert?«, platzte sie heraus und wurde mit einem Blick gestraft, der hätte töten können.

Kapitel 3

»Du hättest mich ruhig früher anrufen können. Da ist man endlich einmal in Russland, um seine beste Freundin zu besuchen und dann muss man sie bei der Polizei abholen. Ich dachte fast, sie würden dich dabehalten, so wie sie dich verhört haben. Was ist denn überhaupt passiert?« Sarah hatte die Stirn in Falten gelegt und wartete auf eine Antwort von Alexa, die jedoch ausblieb. Ihre Freundin war einfach nur ausgelaugt und wollte sich nur noch in einem Bett verkriechen und die Decke über den Kopf ziehen.
Man hatte Nikolai in einer Seitenstraße nahe des Krankenhauses aufgefunden. Man hatte ihn bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, so dass man ihn nur noch durch seinen Pass hatte identifizieren können. Ein Schuss ins Gesicht richtete großen Schaden an. Allein bei dem Gedanken daran, würgte Alexandra.
»Es reicht. Du kommst wieder mit mir nach Deutschland. Du hättest nie weggehen dürfen«, murrte Sarah. Alexa war dankbar, dass sie nicht noch weitere Fragen stellte. Stattdessen brachte sie Alexandra in ihr Hotel, dass sie sich vernünftige Kleider anziehen und sich frischmachen konnte.
»Am besten wäre es wohl, wenn ich einfach alles liegen und stehen lasse«, seufzte Alexa und betrachtete ihr Bild im Hotelspiegel.
Langsam, aber sicher, war sie des vielen Hin und Her‘s müde. Mit Nikolai hatte sie eine Wohnung kaufen wollen, hatte sich endlich ein paar Wurzeln zulegen wollen. Wieder hatte es nicht geklappt. Das Schlimmste jedoch war, dass sie immer noch nicht begreifen konnte, wieso sie bei der Nachricht seines Todes nicht den Tränen nahe war?
»Schau dich doch mal an: Du hast etwas Besseres verdient, als das hier. Komm wieder mit nach Deutschland. Ich hab schon eine großartige Idee, welche Wohnung ich für dich organisieren könnte…«, plapperte Sarah weiter und schaffte es tatsächlich bei Alexandra durchzudringen.
Es würde wirklich nicht viel brauchen, wieder nach Deutschland zu ziehen. Ihr Job war mies und ihre Liebe war weg. Es gab keine Verpflichtungen. Bis auf…
»Ich muss noch einmal in die Wohnung, bevor du mich wieder ganz und gar in Beschlag nehmen darfst, Süße.«

Kapitel 4

»Einen Kaktus.« Sarah starrte entgeistert auf die Pflanze, die Alexa aus dem Chaos gerettet hatte.
»Ja, den habe ich von Nikolai zum Einzug geschenkt bekommen und will ihn auch nach Deutschland mitnehmen«, gab Alexa zurück und schnappte sich eine ihrer Klappkisten.
Sarah schüttelte ihren Kopf und besah sich entgeistert das Chaos in der Wohnung. Hier war sonst wirklich nichts mehr zu retten. Die Eindringlinge hatten in kürzester Zeit ganze Arbeit geleistet. Sarah fluchte leise und warf dann einen Blick ins Schlafzimmer, das sogar noch schlimmer aussah.
»Das sieht aus, als hätte man was gesucht, das die Größe einer Stecknadel hat. Und danach haben sie Nikolai vielleicht gefunden und haben es ihm abgenommen.«
Alexandra schüttelte ihren Kopf. Sie glaubte irgendwie nicht, dass das der Fall gewesen war. Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und wählte Nikolais Nummer. Natürlich klingelte es, bis die Mailbox dran ging. Seine Stimme war zu hören, die ihr zuliebe erst auf Russisch und danach auf Deutsch verkündete, dass er gerade nicht erreichbar war. Der Piepton war zu hören und Alexa begann automatisch zu sprechen:
»Ich bin es. Ich wollte dir nur sagen, dass ich mit Sarah nach Deutschland zurückgehen werde. Mach es gut.« Sie legte auf.
»Was war denn das jetzt?«
Alexandra wusste es nicht. Es war vielleicht nur ein Abschied, der nicht hatte stattfinden können, oder vielleicht auch ihr Gefühl, dass mehr dahintersteckte. Die Reise, das Chaos, der Typ, der sie angesprochen hatte. Sie wusste es nicht, doch das Gefühl blieb haften.
»Süße, du solltest dir vielleicht einmal einen normalen Mann suchen. Irgendwie landest du immer bei Versagern oder Blutsaugern…«
Wo Sarah Recht hatte, hatte sie Recht!

Kapitel 5

»Ich bin es. Ich wollte dir nur sagen, dass ich mit Sarah nach Deutschland zurückgehen werde. Mach es gut.« Ihre Stimme hatte er nicht erwartet, als er ein letztes Mal seine Mailbox abhörte. Sergej hatte ihm gesagt, er solle sein Handy wegwerfen, doch er hatte es noch nicht getan. Nikolai hörte Alexas Nachricht noch einmal. Sie klang, als würde sie nicht an seinen Tod glauben.
Ein weiterer Anruf mit unterdrückter Nummer kam herein und Nikolai ließ sie ebenfalls auf die Mailbox gehen. Er durfte sich nicht verraten, doch, als die zweite Mailboxnachricht auf seinem Handy aufgezeigt wurde, hörte er auch diese ab.
»Du bist nicht tot. Deine Freundin glaubt das nicht und ich glaube es auch nicht, Nikolai.« Schockiert hielt er inne, als er Maksims Stimme flüstern hörte. »Versuch dich zu verstecken, doch wir finden dich. Du gehörst uns, Nikolai. Schulden müssen immer beglichen werden.«
Nikolai legte auf und warf das Handy in den nächsten Mülleimer. Sie glaubten nicht an sein Ableben.
Jetzt war er wirklich ein toter Mann!

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